Gemeinsame Anstrengung, wachsende Gemeinschaft
Wie eine Idee das Leben vieler zum Positiven verändert hat. Nicht nur das der Flüchtlinge.
Den Namen hätten wir sicher einfacher wählen können. Selbst heute, ein Jahr nach Entstehen, kommen nicht einmal den fleißigsten Deutschlernern aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan die Worte „Flüchtlingsnetzwerk Perchtoldsdorf“ fehlerfrei über die Lippen. Aber alle 114 wissen: Deswegen bin ich hier. Die initiativen Perchtoldsdorfer wollten genau mir in meiner Notsituation helfen.
Am Anfang stand eine vage Idee. Die Hoffnung, jenen Menschen, die ihre Heimat aufgrund von Krieg, Verfolgung, Hunger oder Armut verlassen mussten, gemeinsam besser helfen zu können. Wenige Stunden später stand die Idee auf zahlreichen Flyern und die wurden zu den Weihnachtsfeiertagen bei jeder Messe der katholischen und evangelischen Kirche verteilt.
Weitere 14 Tage später dann das erste Treffen derer, die angeregt durch Flugzettel und Mundpropaganda aktiv werden wollten, aber oft noch nicht wussten wie. Der Kreis aus 20 Sessel wuchs an diesem Abend auf alle verfügbaren Sessel an. Der Rest, der rund 120 Interessierten diskutierte im Stehen darüber, wie Perchtoldsdorf zu einem Ort werden könnte, der geflüchteten Menschen eine neue Heimat sein will. Gegen Ende des Abends war nicht nur die herumgereichte Liste voll mit Namen und einigen Hilfsangeboten. Es gab auch zwei ganz konkrete Wohnraumangebote – DER entscheidende erste Schritt, damit das Netzwerk seine Arbeit aufnehmen konnte.
Ein Kleinbus, eine große Bewegung
Vier Wochen später fuhr in Perchtolsdorf ein Kleinbus aus Traiskirchen vor, Familie Al Abd kamen als erste an. Wie die jungen Syrer hat heute jede der 14 Familien und auch die Frauen und Männer in den Wohngemeinschaften ein, zwei oder mehrere Familienbetreuer. Sie sind die wichtigsten Ansprechpartner für die Flüchtlinge, aber auch für die Vermieter. Die Familienbetreuer helfen gemeinsam mit Diakonie und Caritas bei der Vertragsgestaltung, begleiten bei Behördenwegen, sind Zuhörer, Berater, vielfach auch Freund. Außerdem geben sie Angebote aus dem Flüchtlingsnetzwerk an die Familien weiter. Und das sind mittlerweile ganz schön viele.
Täglich laden wir zum Deutschkurs ins Pfarrheim. Auf sechs unterschiedlichen Niveaus wird dort, angeleitet von mehr als 30 DeutschlehrerInnen, gemeinsam gelernt. Ziel ist es, die Schüler auf die notwendigen Deutschprüfungen vorzubereiten. Nebenher ist der Deutschkurs ein geselliger Ort, schafft in seiner Regelmäßigkeit eine Tagesstruktur, die viele in ihrer Ausnahmesituation schätzen. Seit kurzem können offene Fragen aus dem Deutschkurs zwei Mal pro Woche auch nachmittags besprochen werden. Das Lerncafé, das ebenfalls in den Räumlichkeiten der katholischen Kirche eröffnet hat, versteht sich aber auch als Ort des lockeren Austauschs bei Kaffee und Jause. Kinder können im Lerncafé ihre Hausaufgaben machen sowie Nachhilfe bekommen, Kleinkinder können spielerisch Deutsch lernen.
Unter den mehr als 150 Personen, die das Flüchtlingsnetzwerk regelmäßig oder punktuell unterstützen, gibt es aber auch einige, die als persönliche Lernbetreuer nach Hause kommen. Ein anderes Team an Freiwilligen hat die anfangs recht chaotisch gesammelten Spenden, die in einem Lagerraum der Gemeinde auf dem Wirtschaftshof untergebracht werden konnten, sortiert und beschriftet und so hergerichtet, dass es jetzt Freude macht, dort nach Dingen des Alltags zu suchen. Wir wollen auch Perchtoldsdorfern, die sich nicht selbstverständlich bei Bedarf etwas Neues leisten können, offen stehen.
Von Flüchtlingen für Flüchtlinge
Drei Perchtoldsdorfer und ein junger Syrer bilden ein Projektteam, das sich um legale Beschäftigungsmöglichkeiten für Asylwerber kümmert. Eine erste Aufgabe wurde bereits gefunden: Einige der neuen Perchtoldsdorfer lernten im ortsansässigen Radgeschäft, wie man Fahrräder repariert und stellten jene 10 Räder, die zwar vorhanden, aber nicht einsatzbereit waren, dann anderen Flüchtlingen zur Verfügung. Auch Gesponserte Computer werden mit Flüchtlingen für Flüchtlinge hergerichtet. Der dazu gehörige Computerkurs ist bereits gestartet. Besonders schön bei all dem, weil ein ungeplantes Nebenprodukt der gemeinsamen Anstrengungen: Auch die Perchtoldsdorfer wachsen zusammen. Durch das gemeinsame Projekt entsteht Gemeinschaft.
Reden, informieren, aktivieren
Das Flüchtlingsnetzwerk ist seit seiner Gründung kontinuierlich gewachsen, hat heute ein organisatorisches Kernteam, viele bereits realisierte Ideen, viele die erst in Planung sind. Um nicht ständig im Gehen, im Kaffeehaus oder vom Fahrrad aus organisieren zu müssen, haben wir vor kurzem einen Raum im Innenhof des Gemeindeamtes bezogen, hinten links in der gemütlichsten Ecke.
Um über Perchtoldsdorf hinaus zu wachsen, haben wir gemeinsam mit Bürgermeister Martin Schuster die Bürgermeister der 20 Bezirksnachbarn zu einem Treffen eingeladen. Fast jede Gemeinde hat daraufhin ein ein erstes Vernetzungstreffen organisiert, wir waren als gern gesehene Berater dabei.
Wer das Flüchtlingsnetzwerk noch nicht kennt, wer Fragen hat oder sogar aktiv mitmachen will, kann gerne zum Perchtoldsdorfer Flüchtlingsgespräch kommen: jeden ersten Dienstag im Monat im Restaurant Alexander, Marktplatz.
Und Fazit heute, ein Willkommensfest (über 200 Besucher, gemeinsames Kochen mit und Eröffnungsreden von den neuen Mitbürgern), mehrere Freizeitaktivitäten (Wanderung, Gartenfest, Lesung, etc) und eine Auszeichnung (Integrationsgemeinde 2015) später: Es gibt immer mehr Ressourcen als man glaubt! Es muss nur einer den ersten Schritt machen. Dann bekommen die Zahlen aus der Zeitung ein Gesicht, viele Ängste relativieren sich.
Informationen:
Fragen und Angebote bitte an: mitmachen@fluechtlingsnetzwerk.at
Oder telefonisch unter 0664/8412823
Schön versteckt, die Möglichkeit Kommentare abzugeben.
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